Sima Julia Vortkamp ist Projektreferentin der „Empowerment Akademie“ bei Coach e.V. . Im Interview erzählt sie über persönliche Erfahrungen, fluide Identitäten und warum das Thema Empowerment so wichtig für das Individuum und die Gesellschaft ist.
Hast du dich bewusst dazu entschlossen in die politische Bildungsarbeit zu gehen?
Sima: Das waren ganz individuelle Ziele gepaart mit persönlicher Betroffenheit. Also gar nicht aus einer beruflichen Perspektive oder aus dem Studium heraus, sondern die Auseinandersetzung mit meiner Identität.
“Wer bin ich und wie werde ich wahrgenommen?”
Aufgrund meiner Biografie – in Deutschland geboren, im Iran aufgewachsen und dann wieder zurück – hatte ich schon immer beide Identitäten, sowohl die Iranische als auch die Deutsche. Im Iran wurde diese für mich fluide Identität nicht in Frage gestellt bzw. ich wurde nicht sooft damit konfrontiert.
Erst als ich nach dem Abitur wieder nach Deutschland zog, musste ich mich positionieren, Antworten auf Fragen geben, die ich bis dato selber nicht genau wusste. Auf der Suche, nachdem wer ich eigentlich bin, wie ich mich positioniere, habe ich mich nach und nach mit diversen Themen befasst. Im Laufe des Studiums, habe ich Personen kennengelernt, die ähnliche Identitätsfragen hatten. Der Austausch mit Gleichgesinnten, das Teilen der gemeinsam durchlebten Erfahrungen, haben mich in meiner Identität gestärkt und empowert.
Private Aufnahme: Sima in Shiraz | Iran
Da ich mich sowieso schon beruflich entschieden hatte mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen zuarbeiten, war für mich klar, dass ich diese bis dahin, persönlichen Themen, zum Beruf machen möchte. Ich möchte meine Erfahrung mit anderen teilen, insbesondere mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen.
Was hat die Markierung als Nicht-Deutsche mit dir gemacht?
Sima: Aberkennung meines Identitätsgefühls, meiner Biografie und natürlich auch die Zugehörigkeit zu meiner weiß-deutschen Familie, die immer wieder infrage gestellt wurde. Ich fühle mich Deutsch. Aber ich war und bin auch froh, dass ich mich auf das „Andere“, in meinem Fall das Iranische beziehen konnte. Ich bin schließlich im Iran aufgewachsen und spreche die Sprache. Deswegen war und ist es mir auch wichtig diesen Teil zu benennen, weil es einfach ein wichtiger Teil meiner Identität ist. Ich positioniere mich heute als Deutsch-Iranerin. Je nach Kontext auch als Frau of color.
“Mittlerweile gehe ich strategisch an die Identitätsfrage heran. Dabei achte ich sehr darauf, wo ich was und wie sage. Meine Identität ist fluide. In unterschiedlichen Räumen und Kontexten kommen unterschiedliche Identitätsanteile hervor. Ich möchte mich nicht auf eine Identität festnageln lassen. Identität ist zu komplex, um es auf ein Wort zu reduzieren.”
Sima in Garmeh | Iran
Was ist die Empowerment Akademie eigentlich und was soll mit dem Projekt erreicht werden?
Sima: In erster Linie ist die Empowerment Akademie ein Ort der Begegnung und des Austauschs für Personen, die insbesondere von Rassismus und anderen Diskriminierungsformen betroffen sind. Ein Schwerpunkt der Empowerment Akademie ist eine Schulung von Multiplikator*innen, die modular aufgebaut ist und ein Jahr dauert. Die Schulung verfolgt einerseits das Ziel die Selbstwirksamkeit und Identitätsstärkung der Teilnehmenden zu fördern und andrerseits Kompetenzen und Erfahrungen an ihre Mitmenschen weiterzugeben. Die Schulung befähigt und stärkt die Teilnehmenden selbst als politische Bildner*innen aktiv zu werden und bestenfalls eigene Initiativen und Vereine zu gründen. Ein weiterer Schwerpunkt der Empowerment Akademie ist der Aufbau eines Netzwerks und die Vernetzung für von Rassismus Betroffene sowie Multiplikator*innen im Rahmen von unterschiedlichen Veranstaltungsformaten. Damit einhergehend bauen wir einen Referent*innen-Pool auf, um auch bundesweit Erfahrungen und Wissen zu teilen.
Wo siehst du den Bedarf?
Sima: Die Empowerment Akademie agiert nach dem Prinzip des Power- und Knowledge- Sharing: Wir bringen Akteur*innen zusammen, die sich bereits im Themenfeld der Empowerment- und Antirassismusarbeit engagieren sowie Einsteiger*innen, die sich verstärkt mit dem Thema auseinandersetzen möchten. Es gibt bereits einige tolle Projekte zu diesen Themen. Unser Ziel ist es eine Plattform für diese Projekte, Bildungsstätten und Ressourcen einzelner Akteur*innen zu bilden, Ressourcen und Wissen zu bündeln und weitere Räume für Ideen und Synergien zu schaffen, um vorhandene Angebote weiterzuentwickeln bzw. bedarfsgerechte Angebote zu konzipieren.
Sind die Teilnehmenden der Multiplikator*innen Schulung von Rassismus und/oder anderen Diskriminierungen betroffen?
Sima: Ja! Der gemeinsame Nenner ist Rassismus, aber die Erfahrungen und Wissensstände sind sehr unterschiedlich. Viele der angehenden Multiplikator*innen haben sich bereits intensiv mit den Themen Rassismus und Diskriminierung etc. auseinandergesetzt sowohl im politischen als auch im theoretischen Kontext. Andere wiederum sind noch am Anfang, beispielsweise was die Frage der Identität und der eigenen Positionierung betrifft.
Ein wichtiger Prozess ist die Frage nach der Selbst- und Fremdbezeichnung. Auch hier sind die Prozesse sehr unterschiedlich, und das ist gut und wichtig. Schließlich wollen wir von– und miteinander lernen und unser Wissen teilen.
Diese Themen können nie abgeschlossen werden, weil es einem ständigen und fortlaufenden Prozess des Lernens und Reflektierens bedarf, in dem man sich begeben muss. Nur so können wir als Menschen weiterwachsen. Ich als Trainerin, Projektkoordinatorin oder einfach nur als Sima, lerne aus unterschiedlichen Räumen dazu und befinde mich immer im Lernprozess.
Was waren die Herausforderungen im 1. Modul der Multiplikator*innen Schulung?
Sima: Es ist spannend und gleichzeitig eine Herausforderung, eine so diverse Gruppe abzuholen, den unterschiedlichen Bedarfen gerecht zu werden und darauf einzugehen. Wir versuchen prozessorientiert zu arbeiten, daher planen wir die kommenden Module immer erst im Anschluss an das vorangegangene Modul. Anhand des Feedbacks der Teilnehmenden erhalten wir wertvolle Informationen über individuelle Bedarfe und können unser Programm entsprechend anpassen.
Deswegen lag auch der Fokus beim 1. Modul auf dem Kennenlernen und dem Aufbau von Vertrauen innerhalb der Gruppe und zu uns Trainer*innen. Vertrauen ist in solchen Räumen elementar. Es werden teilweise sehr sensible Themen behandelt, die auch Verletzungen innerhalb der Gruppe hervorrufen können. Damit wir uns damit befassen und auseinandersetzen können, muss die Gruppe einander erst Vertrauen können.
Was wünschst du dir für die Empowerment Akademie?
Sima: Ich wünsche mir, dass sich die Akademie als feste Instanz etabliert und das Angebot nachhaltig über die Projektlaufzeit hinaus fortgesetzt wird.
Der Einsatz gegen Rassismus und Diskriminierung jeglicher Form ist essenziell für unsere Demokratie und das friedliche Miteinander – nicht nur für die Betroffenen, sondern für die Gesamtgesellschaft. Bewusster und unbewusster Rassismus und jedwede Formen der Diskriminierung und Ausgrenzung werden sich nicht plötzlich von alleine auflösen. Deswegen müssen wir diese Themen noch stärker behandeln und in die Gesamtgesellschaft tragen.
Die Bedarfe und Nachfrage sind groß und das nicht erst seit gestern. Die Ausbildung junger, engagierter Trainer*innen und ihre Vernetzung ist einer von vielen Schritten, um rassismuskritische Themen, Erfahrungen und Ansätze möglichst flächendeckend weitergeben und verbreiten zu können.
Was wünschst du dir von der Gesamtgesellschaft?
Sima: Mehr Partizipation, Einsatz und Reflexion der eigenen Privilegien. Jede Person, ob von Rassismus oder Diskriminierung betroffen oder nicht, trägt eine Verantwortung für diese Gesellschaft. Wir müssen alle gemeinsam dafür sorgen, dass Menschen nicht ausgegrenzt werden und gleiche Chancen in dieser Gesellschaft haben. Dafür ist es wichtig Unterschiedlichkeiten zu stärken und zu fördern, so dass wir uns alle auf Augenhöhe begegnen können.
Vielen Dank für das Interview!
Die Empowerment Akademie wird gefördert durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend